Regen rinnt über menschliche Abbilder an den Wänden eines ehemaligen Prunkbaus eines kommunistischen Regimes. Langsam wäscht er weg was von der menschlichen Zivilisation übrig geblieben ist. Es sind Selbstdarstellungen einer Spezies, die größenwahnsinnig den Planeten beherrschen wollte. So zumindest suggerieren es die Bilder in Nikolaus Geyrhalters neuem Film „Homo Sapiens“.
Der Film – eine rund 90minütige meditativ wirkende Diashow – nimmt die Zuseher mit in eine Welt, in der von der Menschheit nichts mehr geblieben scheint als monumentale, halb verfallene Bauten, leer geräumte Büros, von der Natur überwucherte Spielplätze und Militärfahrzeuge. Ein menschliches Wesen gesellt sich in den knapp 90 Minuten tatsächlich kein einziges Mal vor die Kamera. Gerade deshalb wirkt „Homo Sapiens“ ob des Wissens, dass es sich um reale Orte handelt, gerade zu Beginn stellenweise beinahe gruseliger als so manche apokalyptische Zombieserie.
Mehr Film als Doku
Und doch sollte die im Gegensatz zur Kulisse reale Existenz der Drehorte mit Vorsicht genossen werden. Geyrhalter selbst möchte sein Werk nicht als Dokumentation im herkömmlichen Sinn verstanden wissen. Das Werk sei letztendlich eine recht fiktionale Angelegenheit, so der Regisseur, der wie in seinen vorangegangenen Arbeiten auch in „Homo Sapiens“ selbst hinter der Kamera stand. Die Welt, die wir auf der Leinwand zu sehen bekommen, ist eine, wie in anderen Filmen auch, am Schneidetisch entstandene. Viele der Örtlichkeiten, die von Michael Palm (Schnitt) im richtigen Rhythmus angeordnet wurden, existieren heute schon nicht mehr – wurden abgerissen und mussten neuen Objekten und Ansichten weichen. Andere Aufnahmen, die den Eindruck erwecken sie wären mit einem zeitlichen Abstand von Monaten entstanden, verdanken diese Empfindung lediglich einem plötzlichen Wetterwechsel. An einigen Drehorten wurde zudem in die vorhandenen Umweltbedingungen eingegriffen – zu stille Tableaus mit Wind belebt, die Lichtverhältnisse geändert oder bei gewissen Details digital nachgeholfen.
Fasziniert blickt man als Betrachter bzw. Betrachterin auf das Spiel einer vom Boden aufgewirbelten Staubwolke im Wind, folgt den Vögeln bei ihrem Flug in einem alten Schlot oder lauscht dem Regen, der auf die menschenleere Szenerie fällt. Im Kinoraum ertönt – jegliches menschliches Zwischengeräusch ist von der Leinwand verbannt – das Pfeifen des Windes, das Flattern der Vögel oder das Quietschen einer Reihe von Lampen, die von einem durchlöcherten Kirchenschiff herabhängend im Winde schaukeln. Gegen Ende blickt die Kamera in die Weite: verlassene Landstriche stimmen nachdenklich. Wir sehen ein Schiff, das sich nicht fortbewegt, ein Dorf von einem See verschluckt und sich aufhäufenden Schnee, der schon bald alle Anzeichen von Zivilisation unter sich begraben haben wird. Vor unseren Augen entfaltet sich eine Ästhetik des Verfalls, der eine poetische Kraft der Erneuerung innewohnt. Das assoziiert letztendlich auch eine tröstliche Empfindung in der nahezu apokalyptischen Szenerie.
Homo Sapiens. Ein Film von Nikolaus Geyrhalter. A 2016. 94 Minuten.
Kinostart: 4. November 2016
© Fotos: Stadtkino Filmverleih
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